Regionale Produkte - Spanisches Treibhausgemüse
Bericht von Christian Hiß und Uwe Pörksen am 11.3.2006 in der Badischen Zeitung
Kann man da nichts machen? Warum wir Tomaten auf den Augen haben müssen, im Winter spanisches Treibhausgemüse zu essen
“Bittere Tomaten”
Eine Vorahnung entwürdigender Lagerbaracken findet man in dem berühmten Roman “Onkel Toms Hütte”.
Er schildert Mitte des 19. Jahrhunderts die Unterkünfte der schwarzen Sklaven im Süden der USA.
Erschöpft und übermüdet, sind sie an das nackte materielle Dasein gefesselt. Was vor drei Wochen
unter der Überschrift “Bittere Tomaten” und dem Blickfang einer unendlichen Plastikdächerfläche
an der Südküste Spaniens im BZ-Magazin zu lesen war, erinnerte daran. “Was wir hier haben, ist
neue Sklaverei”, zitiert der Beitrag eine Menschenrechtsaktivistin, “in ganz Europa isst man
Gemüse und Obst, das von Menschen gepflückt wird, die völlig entrechtet arbeiten, gedemütigten
Menschen, auf denen man herumtrampelt.”
Idealisten, Realisten, Betonköpfe
Geschildert wird das Plastikmeer von Almeria, das bis zu 15 Kilometer ins Landesinnere reicht.
Darunter in Reih und Glied an langen Drahtseilen, von Versorgungsschläuchen begleitet, Paprika
und Aubergine, Gurkenpflanze und Tomatenstaude - eine endlose Geometrie. Unter den Planen
arbeiten bei 50 Grad, in pestizidgeschwängerter Luft, die pflückenden Billignomaden — hier
zumeist Marokkaner. Ihre Arbeitgeber, ehemalige spanische Bauern, sind agroindustrielle
Kleinunternehmer. Nicht selten werden wegen Überproduktion bis zu mehreren hundert Tonnen des
Gemüses vernichtet. Und die Gastarbeiter erleben Rassenhass. Wie lesen wir diese Reportage
“Bittere Tomaten” ? Wohl mit dem Stoßseufzer: “Furchtbar, aber da kann man nichts machen.”
Wir hören sie oft, diese Formel. Sie ist so geläufig, dass man sich fragen kann, ob eine
Werbeagentur daran beteiligt ist, die sich auf Entmutigungsformeln spezialisiert hat. Dass
etwas unabänderlich ist, stimmt immer genau so lange, bis jemand das Gegenteil beweist. Es
gilt im kleinen wie im großen Maßstab. Die gern bespöttelten Idealisten sind oft die
intelligenteren, weitsichtigeren Realisten und die überlegenen “Realisten” nur die
bequemeren Betonköpfe.
“Gärtners Beste”
Man kann gegen die beschriebenen Zustände sehr wohl etwas machen und sollte es tun. Was
hier beschrieben wird, ist eine Zukunft, die auch bei uns längst begonnen hat und mit der
wir verzahnt sind. Die südspanische Plastikplanenanlage ist ja das Treibhaus der Deutschen.
Von den 1000 Lastwagen, die in der Hochsaison mit Paprika, Tomaten, Gurken und Auberginen
beladen jenes Gebiet verlassen, sind 70 Prozent für den deutschen Haushalt bestimmt. Manche
fahren durch Freiburg, halten vielleicht sogar, und wir kaufen im Netz die roten, gelben
und grünen Paprika mit dem Aufkleber “Gärtners Beste” — als habe ein Gärtner mit Gießkanne
und grüner Schürze sie gezogen und nicht ein Drei-Euro-Marokkaner. Der Nahrungsmittelmarkt
blendet mit einer verlogenen, längst vergangenen Scheinwelt. Eine Hightech-Hallenanlage in
Niedersachsen, in der die Hälfte der Hähnchen, die in Deutschland verzehrt werden, einem
durchrationalisierten kurzen Lebens- und Sterbeprozess unterworfen sind, nennt sich “Wiesenhof” .
Industrielle Massenptoduktion
Und auch in der Oberrheinebene gibt es die Entwicklung zum industriellen Anbau von einzelnen
Früchten und Gemüsen, die sich entweder besonderer staatlicher Unterstützung oder einer
ausgewählten Popularität unter der Kundschaft, wie der Spargel, erfreuen und deshalb im
Übermaß mit allen negativen Konsequenzen angebaut werden. Die industrielle billige
Massenproduktionen, dort und hier, stützen einander, bedingen und stabilisieren sich
gegenseitig. Und dass es sie noch in Südspanien und in der Rheinebene gibt, ist eine
Übergangsform. Sie könnten von Spanien nach Nordafrika, vom Oberrhein nach Osteuropa
wandern, wo alles noch billiger produziert werden kann. Der technische Fortschritt
übergibt die letzte Schwundstufe von Menschenhandarbeit einer zuverlässigeren und präzis
steuerbaren Maschine, weil dort die Ackerschläge maschinentauglich sind und das
Hundertfache messen.
Mit Mut den Kreislauf durchbrechen
Was ist dagegen zu machen? Man muss das Ganze ins Auge fassen, den Zusammenhang, und
einen Kreislauf durchbrechen, muss den Mut haben, eine Kausalkette umzukehren. Man kann
den Strukturwandel für einen schicksalhaften Vorgang halten, der nichts als Anpassung
erlaubt, für einen Mythos wie die große Globalisierung, man kann ihn aber auch als Handlung
auffassen, in die Hand nehmen und als aktivem Strukturwandel ihm eine bewusste Prägung geben.
Produktionsformen sind Lebensformen.
Welche Lebensform wollen wir?
Die Frage stellt sich also: Welche Lebensform wollen wir?
Der Breisgau ist ein subtropisch fruchtbarer Landstrich, was wächst hier eigentlich nicht?
Auf einem Quadratmeter wächst hier so viel wie auf manchem Zehnquadratmeterstück in der
norddeutschen Geest. Aber von dem Obst und Gemüse, das von Freiburger Bürgern gekauft wird,
stammen nur fünf Prozent aus dem näheren Umland. Im Winter, wird vielleicht mancher sagen,
da ist man doch auf den Süden angewiesen. Ist man? Auch zu Weihnachten gibt es hier noch 35
verschiedene Gemüse und Salate, nur eben keine Tomaten und Gurken. Es gilt nicht das Eine
durch das Andere vollkommen zu ersetzen, sondern es geht darum, ein bewusstes Maß zu finden.
Monokultur erzeugt Monotonie
Der Kunde ist König, heißt es völlig zu Recht. Warum begreift er nicht seine Macht? Wer kauft,
vergibt einen Auftrag. Wer sein Geld dafür ausgibt, was hier erzeugt wird, vergibt einen
Auftrag an die eigene Region und — wir übertreiben nicht — er gestaltet ihre Zukunft,
entscheidet über sie. Der Wirtschaftstyp prägt die Kulturlandschaft, was bei uns “Natur”
heißt, ist größtenteils das Ergebnis des vor 8000 Jahren begonnenen Landbaus, ist menschliche
“Kultur” . Die Natur davor war weit eintöniger als sie es heute ist, und sie ist auf dem Weg,
durch menschlichen Eingriff wieder eintönig zu werden. Monokultur erzeugt Monotonie, Polykultur
Vielgestaltigkeit. Aber es geht uns hier nicht zuerst um den Landschaftseindruck, es geht um
Lebensformen, die Herstellung vielseitiger Überlebensbedingungen und insofern um Wertschöpfung.
Man kann die Rheinebene in ein Maisfeld verwandeln, auf dem wenig Leute und von Satelliten
gesteuerte Maschinen stumpfsinnige Arbeit verrichten und dabei kaum Wertschöpfung stattfindet,
und man kann sie als vielgestaltige und vielstufige Landwirtschaft erhalten und ausbauen und
dadurch die regionale Wertschöpfung erhöhen.
Abhängigkeiten
Ein Hof, der kilometerweit nur Rotkohl erzeugt, macht nicht nur einen monotonen Eindruck, er
kommt mit wenig Arbeitskraft aus und beschäftigt nur in der Erntezeit etliche unausgebildete
Billiglohnarbeiter. Sein Saatgut kommt etwa aus China, der Stickstoff aus Trinidad. Die
Landwirtschaft ist nahezu abhängig von nur noch wenigen Saatgutkonzernen, die auf dem Weg
fortwährender Patentierung die Welternährung in der Hand haben, auf Hochleistungssorten
reduziert sind und zugleich durch technischen Eingriff (Hybridzüchtung) unterbinden, dass
man von der nächsten Generation einer Sorte Saatgut nehmen kann.
Kaum noch Lehrlinge
Die Arbeit ist einseitig. Der Spielraum der Entscheidungen, der Handgriffe, der Erfahrungen
ist schmal. Ein solcher Betrieb erzeugt viel Transport, nämlich die rollenden Lagerhallen
auf unseren Straßen; er trägt bei zum Klimawandel, verseucht nicht selten die Böden, weshalb
in Holland schon 97 Prozent aller Fruchtgemüse in Mineralwolle und nicht mehr in gewachsenem
Boden wachsen, und macht landwirtschaftliche Ausbildung überflüssig, scheinbar überflüssig.
Welchen Sinn hätte hier eine landwirtschaftliche Lehre, es gibt schon jetzt kaum noch Lehrlinge
und Ausbildung, kaum noch Überlieferung von Fertigkeiten und Fähigkeiten auf dem Sektor Ernährung
durch Landwirtschaft. Das könnte einmal teuer werden; das negative Kapital, das auf diesem Sektor
produziert wird, kommt in der öffentlichen Rechnung bisher nicht vor.
Regionale Wertschöpfung
Die Nebeneffekte des landwirtschaftlichen Produzierens müssen endlich stärker bewertet werden,
auch finanziell und betriebswirtschaftlich, also die Ausbildung, die Vermittlung von Fertigkeiten
und Kenntnissen, sinnstiftende anstatt stumpfsinniger Arbeit, die Beschäftigung von Fachkräften,
das nachhaltige Wirtschaften, die Bodenfruchtbarkeit, die Krisenfestigkeit durch vielfältige
Bewirtschaftung, die Förderung der Region durch regionale Wertschöpfungsketten, die Vermeidung
übertriebenen Transports. Es würden andere Höfe entstehen, wenn die Gesichtspunkte eines rationalen
Realismus Geltung bekämen. Ein Hof, der fünfzig oder siebzig Gemüsesorten erzeugt oder fünfzehn
Obstsorten, macht nicht nur einen vielgestaltigen Eindruck, er beschäftigt Fachkräfte, mehr
Arbeitskräfte, schafft Arbeit. Er kann ausbilden, fachlich qualifizieren. Die Arbeit ist vielseitig,
anspruchsvoll und abwechslungsreich, hat erhebliche Entscheidungs- und Erfahrungsspielräume und
fordert heraus, sie teilt von selbst durch täglichen Umgang und Anschauung, Kenntnisse und Fertigkeiten
mit. Er erzeugt wenig Transport und kann, wenn er will, sein Saatgut und seinen Stickstoff selbst
erzeugen, in Zukunft vielleicht auch seinen Treibstoff. Ein solcher Hof, genauer gesagt, eine solche
Hoflandschaft, zeichnet sich aus durch erhöhte Krisenfestigkeit.
Motive für das "Weitermachen"
Wie aber kann man hoffen, nachdem in den letzten 20 Jahren die Hälfte der Höfe in Baden-Württemberg
aufgegeben hat und eine weitere Welle des Aufhörens bevorsteht, wie kann man erreichen, dass sich
dennoch in dem hier aufgezeigten Sinn, eine notwendige Anzahl zum Weitermachen entschließt?
1. Indem man die Gesamtrechung aufmacht, nicht nur die betriebswirtschaftliche, sondern eine,
die bedenkt, was der Erhalt unserer Kulturlandschaft, das Gebiet der Arbeit, die Wertschöpfung
in der Region, die krisenfeste gesunde Ernährung, die Kontinuität der Sortenvielfalt bedeuten
würden und wie eine Landwirtschaftspolitik darauf reagieren kann.
2. Indem der Kunde sich als König begreift, als einer, der sich in einem nicht sentimentalen,
sondern in einem nüchternen und klug ökonomischen Sinn für die Region mitverantwortlich fühlt
und zeigt. Die Höfe brauchen verlässliche Abnehmer, es lassen sich Verträge mit Institutionen
denken. Es lässt sich ein Pakt zwischen Stadt und Land denken. Es lässt sich vorstellen, dass
der Kunde bewusst den Markt in die Hand nimmt und nicht der Markt die Kundschaft.
Zu den Autoren
Christian Hiß (geb. 1961) ist Gärtnermeister in Eichstetten am Kaiserstuhl auf dem Demeterhof Hiß
Uwe Pörksen (geb. 1935) ist emeritierter Professor für Sprache und Ältere Literatur in Freiburg.