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Die Geburtshelferkröte

Wo Männchen den Nachwuchs um die Beine binden und pflegen

Zu Besuch bei den Letzten ihrer Art: Die Geburtshelferkröte findet fast nur noch im Glottertal geeignete Laichplätze

GLOTTERTAL. Die Artenvielfalt schwindet kontinuierlich, weltweit und auch in Deutschland. Nach Angaben des Naturschutzbundes gelten von den 254 heimischen Vogelarten 141 als ungefährdet. Ohne das Engagement unzähliger Naturschützer stünde es noch schlechter um die Vielfalt. Sie pflegen Bachufer, bewahren Amphibien davor, beim Queren von Straßen unters Auto zu kommen, halten Tümpel offen, richten Nisthilfen ein oder sichern Brut plätze. Die BZ stellt vier extrem seltene Arten vor und die Menschen, die sich ihrer angenommen haben. Heute: die Geburtshelferkröte.

Erwin Reichenbach ist ein Mensch, der sich über die Begegnung mit Kröten freut, ganz besonders wenn es sich um ein Exemplar der seltenen Geburtshelferkröte handelt. Seit 45 Jahren schaut der Landwirt danach, dass es den Vertreterinnen und Vertretern dieser Art auf seinem Hof gut geht. Schon Johann Peter Hebel hatte die Kröte gekannt. Als "Möhnle" kommt sie in seinem Gedicht "Der Wächter in der Mitternacht" vor.

Es war in einer Frühjahrsnacht, Erwin Reichenbach war damals 17 Jahre alt und kam von einer Veranstaltung der Landjugend nach Hause. Da stand ein Motorrad auf der Hofdurchfahrt und der Lichtkegel einer Taschenlampe zitterte über den Boden. Die hielt ein Zoologe in der Hand, der das Glottertäler Vorkommen der Geburtshelferkröten erforschte. "Er hat eins der Tiere aufgenommen und hat es mir gezeigt" , erzählt Erwin Reichenbach. Die Kröten sind klein, erwachsene Tiere bringen es auf eine Länge von sechs Zentimeter. Ihre Oberseite ist braun und mit kleinen rundlichen, teilweise rötlichen Warzen besetzt, die schmutzig-weiße Unterseite ist meist grau gefleckt. Bis dahin hatte sich Erwin Reichenbach keine Gedanken gemacht über das Weh und Ach von Kröten, Fröschen, Unken oder Molchen und war sich auch nicht im Klaren darüber, wie ausgesprochen wertvoll die Hofstelle seiner Familie im Oberglottertal unter ökologischen Gesichtspunkten einzustufen ist. Seit den 60er Jahren ist dieser Wert sogar noch gestiegen. Denn die Zahl der Amphibien ist im ganzen Land rückläufig, und speziell im Glottertal ist die Geburtshelferkröte derzeit nur noch hier nachgewiesen. Erwin Reichenbach jedenfalls hat in diesem Frühsommer die hellen "Üh & üh & üh" - Rufe der Tiere gehört, auch hat er ein Exemplar gesehen. Möglicherweise existieren im Glottertal sonst noch einzelne Tiere, aber nur hier besteht eine Population, die sich stetig reproduziert.

Anzahl ging in jüngster Vergangenheit drastisch zurück

In der jüngsten Vergangenheit ist die Zahl der Geburtshelferkröten auffällig stark zurückgegangen, und zwar in ihrem gesamten Verbreitungsgebiet zwischen Schaffhausen und Freiamt-Biederbach, erklärt Klemens Fritz von der Unteren Naturschutzbehörde im Landratsamt Emmendingen und Autor des Buches "Amphibien und Reptilien Baden-Württembergs" . Fritz zählt zu den versiertesten Geburtshelferkrötenspezialisten Europas. Bei einem Treffen mit Fachkollegen im Juli hat er festgestellt: "Die Vorkommen sind stark ausgedünnt, auch haben sie keine Verbindung mehr miteinander. Und das ist wohl der Hauptgrund für die aktuelle Entwicklung." In der Roten Liste Baden-Württembergs steht hinter "Geburtshelferkröte" eine Zwei, das heißt, sie ist "stark gefährdet" . Aus dem Grund, so Klemens Fritz, sollte man nicht an die große Glocke hängen, wo die Letzten dieser Art genau vorkommen. Das Eindringen Neugieriger habe schon so mancher Population geschadet. Andererseits sei es wichtig darauf aufmerksam zu machen, dass die Arten schwinden und dass es oft einzelnen Engagierten zu verdanken ist, dass ein Lebensraum noch besteht. So ist das auch im Falle Erwin Reichenbachs. Beim Rundgang über den Hof erzählt er, was die Geburtshelferkröten brauchen, um sich wohlzufühlen. Ihnen gefällt sandiger oder kiesiger Boden, der nach Regen rasch abtrocknet. Besonders mögen sie Bretterstapel oder Steinhaufen, denn darin können sie sich verstecken, wenn es unruhig wird. Dreh- und Angelpunkt ihres Vorkommens ist allerdings der Brandweiher unterhalb der Hofstelle und der ist frei von Fischen, was eine weitere existenzielle Voraussetzung für die Existenz von Kröten und sonstiger Amphibien ist. Denn Fische fressen den Laich und vor allem die Kaulquappen. Das gleiche Übel richten Enten an. Weil Erwin Reichenbach das weiß, hat er solche Tiere nicht in seinen Teich gelassen.

Anders als beispielsweise Erdkröten oder Grasfrösche wandern Geburtshelferkröten nicht, vielmehr bewegen sie sich in einem Radius von nur 50 Metern um "ihr" Gewässer. Auch leben sie von jeher in der Nähe des Menschen, ebenso wie die Fledermäuse zählen sie zu den sogenannten Kulturfolgern. Für solche Arten hat es demnach Konsequenzen, wenn der Mensch seine Wirtschafts- oder Lebensweise ändert. Der Strukturwandel im ländlichen Raum ist denn auch der eigentliche Grund für den Rückgang der Geburtshelferkröten. Beispielsweise sind im Mittelalter eingerichtete und bis in die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts genutzte Wiesenbewässerungssysteme längst stillgelegt, wurden Nasswiesen sogar drainiert, um Ackerbau zu betreiben, sind viele Teiche und Tümpel verlandet oder wurden zugeschüttet. Das Verhalten der Männchen hat den Tieren übrigens ihren Namen eingebracht. Während der Paarung an Land wickeln sie den Laich in Form von Schnüren mit den befruchteten Eiern um ihre Fersengelenke und tragen ihn mit sich herum. Ist das Kaulquappenstadium erreicht, legen sie den Nachwuchs im Wasser ab.

Quelle

Badische Zeitung, Silvia Faller, vom 30.08.2008