Wanderfalter in Freiburg
News vom 19.05.2009
Die Invasion der Schmetterlinge
Als „Wanderfalter“ werden Schmetterlinge bezeichnet, die – ähnlich wie die Zugvögel – regelmäßig gerichtete Wanderungen aus ihrem Ursprungsgebiet unternehmen und dabei Distanzen bis zu mehreren tausend Kilometern zurücklegen können. Dieses Verhalten wird wissenschaftlich vor allem als Anpassung an unsichere Umweltbedingungen, zum Beispiel an Lebensräume, die nur kurzzeitig Nahrung bieten, gedeutet. Bekannte Wanderfalterarten sind bei uns neben dem Distelfalter der Admiral und der Postillon.
Von der Rheinebene über den Kaiserstuhl bis hinauf in den Hochschwarzwald sind dieser Tage ganze Heerscharen von Distelfaltern unterwegs: Die vier bis sechs Zentimeter großen, braungelb und schwarz-weiß gezeichneten Schmetterlinge gehören zu den Wanderfaltern, die jedes Frühjahr von Afrika nach Skandinavien ziehen und auf ihrem Weg dorthin auch in Südbaden Station machen.
So viele wie dieses Jahr waren es jedoch schon lange nicht mehr: Vermutlich sind es einige hunderttausend oder gar Millionen Tiere, die derzeit die Stadt Freiburg und den Landkreis durchfliegen.
„Man kann ihnen gar nicht aus dem Weg gehen, so viele sind es“, sagt Jürgen Hensle vom Naturschutzbund Deutschland (NABU) aus Eichstetten: Der 43-jährige Außendienst-Mitarbeiter beschäftigt sich seit seiner Kindheit mit Schmetterlingen und gilt als ausgewiesener Wanderfalter-Experte – deutschlandweit laufen alle Beobachtungen über ziehende Schmetterlinge bei ihm zusammen.
Derzeit gehen jeden Tag zahlreiche Meldungen bei ihm ein, so zum Beispiel über einen Schwarm von rund einhundert Distelfaltern bei Freiburg-Tiengen, die dort vor wenigen Tagen innerhalb von Minuten an einer Straße vorbeigeflogen sind.
Traurige Randerscheinung dabei: Auf der Autobahn seien zahlreiche Tiere gegen Windschutzschreiben geprallt. „Aber auch in Gärten oder auf Bergen kann man den starken Flug der Tiere gut beobachten“, erläutert Hensle. Etwa 50 Jahre mag es her sein, dass die Einwanderung des Distelfalters im Frühjahr so massiv ausfiel wie dieses Jahr; Fachbücher berichten über weitere Massenauftreten in den Jahren 1918 und 1931.
Den Winter verbringt der Distelfalter in Afrika nahe der Sahara. Von dort aus erreicht eine erste Wanderwelle im Februar und März das Mittelmeergebiet, wo sich die Tiere fortpflanzen – ein einzelner Falter lebt nur wenige Wochen.
„Das Frühjahr war dieses Jahr in Südeuropa sehr feucht, so dass die Futterpflanzen der Raupen gut gedeihen konnten“, nennt Hensle einen Grund für den aktuellen Massenflug: Aufgrund des großen Nahrungsangebots hätten sich im Mittelmeerraum sehr viele Raupen entwickeln können; nach deren Verpuppung sei die neue Faltergeneration weiter nordwärts gezogen und vor etwa einer Woche in Südwestdeutschland angekommen. „Weitere Faktoren, etwa ein geringer Parasitenbefall, dürften ebenfalls zu dieser starken Vermehrung beigetragen haben“, sagt Hensle.
Als Kraftstoff dient den Faltern Blütennektar
Bei günstigen Windverhältnissen legen die Falter gut 30 Kilometer pro Stunde zurück; als „Kraftstoff“ dient ihnen dabei der Nektar verschiedener Blüten; etwa von Rotklee oder anderen Wiesen- und Gartenpflanzen. Die Raupen leben – wie es der Name schon vermuten lässt – vorwiegend an Disteln und anderen Unkräutern.
„Sie richten keinen wirtschaftlichen Schaden an“, betont Hensle. Ein Teil der derzeit nach Norden fliegenden Tiere wandert bis nach Skandinavien. Ihre Nachkommen werden gegen Ende des Sommers wieder südwärts ziehen. Diese Rückwanderungswelle verläuft allerdings meist weniger spektakulär als die Hinwanderung.
Wie lange das augenblickliche Naturspektakel noch anhalten wird, lässt sich indes nicht genau vorhersagen: „Möglich, dass es bis in den Juni hinein andauern wird“, sagt Schmetterlingsfachmann Hensle.
Der Artikel von Andreas Braun erschien in der BZ vom 19.5.09 und wurde vom Autor freigegeben.
Fotonachweis: Walter Schön, Bad Saulgau, BUND Projekt "Portal für Schmetterlinge/Raupen" (www.schmetterling-raupe.de)
Weitere Informationen zum Distelfalter: http://www.bund.net/bundnet/themen_und_projekte/abenteuer_faltertage/wissenswertes/steckbriefe/distelfalter/
Faltertag an der Ökostation am Sonntag 31.5.09: www.oekostation.de/de/programm/veranstaltungen_.htm#a376